Pressemitteilung vom 10. Mai 2006

Landesregierung ignoriert die positiven Ergebnisse des Modellprojekts zur heroingestützten Behandlung von Schwerstabhängigen

Koalitionsvertrag sieht eine Verschleppung der Entscheidung bis Mitte 2007 vor

Die beiden Karlsruher Landtagsabgeordneten Renate Rastätter und Gisela Splett kritisieren die Verschleppung der Entscheidung über eine Heroin-Abgabe an Schwerstabhängige durch die Landesregierung. Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass bis Mitte 2007 unter Einbeziehung von Experten geprüft werden soll, ob „die Abgabe von Heroin als Vorstufe einer differenzierten, auf Entzug gerichteten Therapie in Betracht kommen kann“. „Es gibt keinen Grund bis Mitte 2007 weitere Experten anzuhören“, so Rastätter und Splett. „Mit der bundesweiten Heroin-Studie liegen jetzt aussagekräftige Daten vor, welche die auf Schwerstabhängige begrenzte staatliche Abgabe von Heroin anstelle des Drogenersatzstoffs Methadon rechtfertigen. Eine Entscheidung muss jetzt fallen, bevor der Modellversuch ausläuft“. Die beiden Grünen Abgeordneten befürchten, dass nach dem Vorstoß von Sozialministerin Stolz, Schwerstabhängigen in Ausnahmefällen eine Heroin-Therapie zu erlauben, jetzt mit der Formulierung im Koalitionsvertrag ein Rückwärtsgang eingelegt werden soll.

Bei einem aktuellen Gespräch mit dem Leiter der Karlsruher Drogenberatungsstelle, Herrn Blobel, haben sich Frau Rastätter und Frau Splett über die Ergebnisse der Studie informiert und dabei erfahren, dass bei schwerstabhängigen Teilnehmern eine heroingestützte Therapie erfolgreicher ist als eine Therapie mit dem Drogenersatzstoff Methadon. Bei den schwer kranken Patienten, die seit Jahren mit keiner Therapie mehr erreicht wurden, geht es den Teilnehmern der Heroingruppe gesundheitlich besser und sie waren auch seltener kriminell seit Beginn der Studie als die Methadon-Patienten. An der Studie unter der Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit haben sich die Stadt Karlsruhe und die Städte Bonn, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln und München, sowie die Bundesländer Hessen, Niedersachsen, und Nordrhein-Westfalen beteiligt. Vergleichbare Ergebnisse gibt es auch aus anderen Ländern. Herr Blobel erläuterte, dass auch in Karlsruhe nur Schwerstabhängige in das Modelprojekt aufgenommen wurden, die eine extrem lange Abhängigkeit aufwiesen, schwer krank waren, mit Methadon nicht zurecht kamen und mit keiner Therapie mehr erreicht werden konnten. Er wies auf den großen Erfolg hin, dass eine signifikante Anzahl der Teilnehmer inzwischen in eine abstinenzorientierte Therapie übergewechselt sei. Das ist nicht nur ein Riesenerfolg für die betroffenen Menschen, sondern auch für die Gesellschaft.

„Für die Stadt Karlsruhe, die sich als einzige Stadt in Baden-Württemberg am Modellversuch beteiligt hat, ist die Verzögerungstaktik der Landesregierung besonders hart“, so Renate Rastätter. „Während sich bei den anderen beteiligten Städten die jeweilige Landesregierung an den Kosten der Studie beteiligt hat, musste die Stadt Karlsruhe, abgesehen von einem kleinen Zuschuss vom Bund, die Kosten für das Karlsruher Modellprojekt alleine schultern. Jahrelange haben wir Landtagsgrünen vergeblich versucht, eine finanzielle Beteiligung des Landes zu erreichen.“

Gisela Splett und Renate Rastätter bedauern, dass Sozialministerin Stolz, die ohne ideologische Scheuklappen an das Thema heran gegangen war und aufgrund der positiven Ergebnisse eine heroingestützte Therapie für schwerkranke Abhängige genehmigen wollte, offenbar keine Mehrheit in ihrer Fraktion gefunden hat. „Die CDU im Landtag muss endlich eingestehen, dass ihre bisherigen Vorbehalte gegen die Heroinabgabe an Schwerstabhängige nicht mehr aufrecht zu erhalten sind“, so Renate Rastätter.

Die beiden Karlsruher Abgeordneten wollen sich deshalb im neuen Landtag dafür einsetzen, dass die Landesregierung ihre Verschleppungstaktik unverzüglich beendet: „Es geht hier um die Überlebenschancen von Schwerstabhängigen, die erst einmal aus ihrer Verelendung herausgeholt werden müssen, bevor sie in eine Abstinenztherapie gehen können“.

„Auch der Bund braucht das Signal aus den Ländern. Dringend notwendig ist jetzt eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Solange das nicht erfolgt ist, kann die heroingestützte Behandlung nicht mit den Kassen abgerechnet werden.“ Ohne diese Perspektive können die Städte, die sich an der Studie beteiligt haben, die Behandlung der Schwerstabhängigen nicht fortsetzen“, so Rastätter und Splett. Das ist aber dringend notwendig, da ein vorzeitiger Abbruch der Behandlung erhebliche negative Konsequenzen für die Gesundheit der Patienten nach sich ziehen kann, wie man aus Erfahrungen aus den Niederlanden weiß.